plutokennedy
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@cinerama
Mir ist im Multiplex Aquaboulevard in Paris (Gaumont/ Baujahr 2003) dieser elegant/funktionale Saal, den Bode bereits 1957 voraussieht, aufgefallen. Er besteht mit Ausnahme eines schmalen Streifens vor der Leinwand (ohne Vorhang) nur noch aus Bild (Decke zu Boden, Wand zu Wand) und Zuseherrampe.
Wenn ich Deine Auseinandersetzung studiere, wird mir wieder bewusst, dass der Kinoraum sich vom Theater- und Variétésaal erst spät emanzipiert hat.
'Art-et-Essai' mit der Absicht der Objektivierung (Bewusstsein) hat Studio- und Programmkinosäle dazwischen hervorgebracht, welche zwar in karger Ausstattung nicht vom Film ablenken sollen (traumloses Kino) aber (z. B. im Unterschied zum Bildraum Aquaboulevard) Abstand und Anwesenheitsgefühl gegen den Verschmelzungswunsch belassen.
Offenbar findet heute jeder Filmanspruch konzeptionell zu seiner eigenen (inneren) Architektur, während das Kino noch bis weit in die 60er Jahre eher von der Bauweise seiner Zeit entsprechend auch den hohen Besucherzahlen bestimmt war (?).
Meine ketzerische Ausgangsbehauptung war, dass eine Kleinstleinwand sogar mit umgebender Ablenkung - oder z. B. ein ungünstig langer Schlauchsaal - das innere Erlebnis des Films gegenüber dem optimalen Riesenbildsaal nicht negativ verändern können (im Unterschied zu Dunkelheit und Ruhe, was bei nicht Vorhandensein auch in einem Supersaal extrem stören) und die Vereehrung der Scopeleinwand in diesem Sinne überschätzt wird. Masse macht keine Klasse. Masse machen keine Klasse.
In meiner Stadt war nie eine Leinwand grösser als 75 Quadratmeter, was den Genuss nur insofern behindert, als ich sie z.B. mit Paris vergleiche. Aber dass sind nur Behauptungen. Ich könnte sogar noch draufsetzen, dass Attraktivität die Empfindung sogar stört. Auch interessieren mich die Filme, welche für 70mm hergestellt wurden, eigentlich meistens gar nicht: Lyrik statt Walzeroper + Epos, Il Grande Silenzio statt Lord of the Rings.
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Der Kinobesucher vor 40 Jahren hätte seinen Kasten wohl mit Begeisterung gegen eine Anlage von heute eingetauscht. Oder aber wäre mit den von cinerama beschriebenen Symptomen der destabilisierenden Seite in die Filme des Stummfilms geflüchtet.
Das Problem der Nostalgie kann sein, dass sie nur auf Nostalgie macht (Retro). Insofern sollte die Zeit (durch Zitate und Bilder) möglichst für sich selber sprechen dürfen. Aus heutiger Sicht kann man der Vergangenheit kaum gerecht werden. Das war die schmerzliche Einsicht meiner Recherchen. Auch die Vergangenheit ist (war), was sie ist (war): fantastisch und Scheisse immer zugleich.
Nostalgie, die verklärt, ist das Wort, aber keine Geschichte wert.
Ich würde diese Abteilung nicht 'Nostalgie' sondern 'Erinnerungen' nennen.
Oder 'die Zeit vergeht', ist gar nicht schlecht.
Die Fallen von gestern heissen Sentimentalität oder Bitterkeit. Dabei war es einfach passiert.
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Das Wort 'Nostalgie' gibt es zum Beispiel auf Französisch so nicht (Sehnsucht- le désir ardent?).
Ich forsche selber seit zwei Jahren über die Kinogeschichte meiner Stadt. Nachdem ich so lange mit Genuss krame, kommt plötzlich das: Ich entdeckte Texte und Musik der Neuen Welle/ New Wave (wieder), die Ende der 70er Jahre gerade in der BRD die weinerliche Zeit der Hippies abgelöst hatten. Jede Zeit hat ihre Gegenbewegung und in diesem Falle affirmative Moderne.
So hält das Herz sich immer jung.
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"Die Ästhetisierung betrifft grundlegende Strukturen der Wirklichkeit als solcher: der materiellen Wirklichkeit infolge der neuen Materialtechnologien, der sozialen Wirklichkeit infolge ihrer medialen Vermittlung und der subjektiven Wirklichkeit infolge der Ablösung moralischer Standards durch Selbststilisierungen.
In der urbanen Umwelt meint Ästehetisierung das Vordringen des Schönen, Hübschen, Gestylten: in der Werbung und im Selbstverhalten meint sie das Vordringen von Inszenierung und Lifestyle: im Blick auf die technologische Bestimmung der objektiven Welt und die mediale Vermitteltheit der sozialen Welt Virtualisierung. Die Ästhetisierung des Bewusstseins schliesslich bedeutet: Wir sehen keine ersten oder letzten Fundamente mehr, sondern Wirklichkeit nimmt für uns eine Verfassung des Produziertseins, der Veränderbarkeit, der Unverbindlichkeit, des Schwebens an..."
(Wolfgang Welsch - Grenzgänge der Ästhetik)
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Danke für Deine prägnante, kompromisslose Reflexionskraft.
Letztlich geht es um die Frage der Bezüglichkeit/Verbindlichkeit von Ästhetik. Oder ob das überhaupt sein muss oder alles eben Spass ist.
Wäre eine Volkskinoarchitektur ausserhalb der Harmlosigkeit überhaupt durchsetzbar? Wie ausdifferenziert und progressiv ist der Geschmack der Masse?
Kann Pracht und Würde wirklich nur über Grösse wirken? Ist das nicht kontraproduktiv manchmal nur Dramatik und Spektakel, wo es in reduziertem Rahmen Lyrik und Kontur geben könnte?
Verstärkt sich mit zunehmender Wucht der Leinwand (und des Tones) eigentlich die Zuwendung gegenüber dem Film? Ist Sinnlichkeit quantifizierbar? Wie sensibel ist die Black Box (die magische Bereitschaft) des Betrachters selber?
Wo bleibt in der Komplizenschaft zwischen Götzendienst und Götze das Werk? Kino als Ablass (Trostspender) und Aberglaube? Kino als Dumpfschläger?
Früher, als als der Ton vorne an der Leinwand klebte und das Bild riss und stolperte, die Farben ausliefen, musste man sich die Vorstellung quasi noch holen. Wie genau aber muss Erfahrung und Empfindung überhaupt sein?
Ich möchte die von Dir angesprochenen 'Alternativstätten des Realen', welche in der Regel pragmatisch ihrer Not gehorchen und noch keinen Wert an sich darstellen, nicht gegen die Illusionsfabriken ausspielen. Mein nostalgisch verklärter Ansatz wäre eine Zeit (Utopie) der Grosskinos (gab es diese Zeit?), als durch Genrefilme, über Kino als öffentliches Ereignis an sich, und eine markt- und zielgruppenunbewusste Steuerung, Fronten 'subversiv' unterlaufen und Verbindungen realisiert werden konnten. .
Dein Gedanke, dass der Ort und die Form des Kinos an sich unabhängig von seiner Ausrichtung Qualität und politische/künstlerische/sinnliche Kraft geniesst, finde ich völlig richtig. Aber dieser Ort müsste Charakter haben, die Täuschung architektonisch (durchaus im Sinne der von Dir vorgestellten Nüchternheit als Eleganz als die Kunst des Weglassens) zu brechen statt zu verdoppeln. Ohne die Konzession des Designs. Leider ist es auch ein grosser Verlust, dass Säle in riesigen Anlagen oder unter oder über der Erde verschwinden, statt der direkten, schwellenlosen, ebenerdigen Verbindung zur Strasse.
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Versuche, zu verstehen.
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@cinerama
Grundsätzlich bringe ich die von Dir eingeforderte Sachlichkeit, Deinen Anspruch auf Realität und Essenz hinter der Fassade, mit der gleichzeitigen Verehrung dieser Kinotempel nicht zusammen. Auch die Filme, die auf diesen göttlichen Leinwänden liefen, mussten ja inhärent 'Oper und Operette' - (zu) gross, prächtig, weihevoll, erhaben, farbig- sein. Mit dem Leben kann ich solche Paläste und ihren Inhalt nicht verbinden, ganz egal ihrer architektonisch-technischen (eher feierlich-dekorativen oder funktional-hybriden) Innenwelt. Sie sind einfach die attraktiveren Illusionsverstärker, aber sie bedienen den Wahn.
(Studio)kinos der späteren Zeit, welche mit der Magie und Überwältigung gebrochen haben, Filme einfach abgespielt werden (wertfrei gesagt), stehen eigentlich für die realere, eine unsinnliche Poesie - roh und hart, echt.
Ergänzend: Diese Sehnsucht nach dem totalen Kino mag verständliche Nostalgie sein, aber war(en) seine Zeit damals, ihr wohl eher unkritisches Publikumskollektiv und die heroischen Schinken nicht etwas, was es zu überwinden galt?
Wenn es aber vor allem die Begeisterung an der technischen Leistungsmöglichkeit wäre, hätte die Heimkinogeneration, welche gerade meistens in diese Richtung argumentiert, ja eigentlich in ihrem Sinne recht.
as time goes by ... :-(
in Nostalgie
Geschrieben
Wie aber definierst Du die Parameter?
Oder ergeben sich diese organisch aus sich heraus?
Kann man diese Angemessenheit objektivieren?
Ist nicht gerade das Problem, dass die Zuweisung alleine immer nach ökonomischen Gesichtspunkten funktionieren wird (Piraten in allen Grosssälenl).
In Paris, wo Anspruch und Unterhaltung nicht so klar getrennt und die Menschen offener sind, einen (depressiven) 'Studiofilm' auf einer ansehnlichen Leinwand zu sehen, ist ein schönes Erlebnis, Verehrung auch vor der Kunst und dem Leben.