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Kameras der Abtrünnigen oder „Anti-Trust Cameras“


Film-Mechaniker

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Adolph Ferdinand Hamáček lebte von 1858 bis 1940, hauptsächlich in Chicago. Drei Patente waren in Kraft für seine ungewöhnliche Filmkamera, US 903‘469, 909'404 und 925‘697.

 

Es handelte sich um eine der ganz wenigen Konstruktionen, mit denen unperforierter Film belichtet wird, und um eine von nur vieren weltweit, in denen auch keine Filmperforation stattfindet. Die drei anderen sind die Le-Prince-Kamera von 1888, der Photochronographe Démény von 1893 und die Lauste-Latham-Kamera. Der Domitor1-Prototyp war eine perforierende Kamera, bevor er zum Cinématographe Lumière wurde. Auch beim Biograph2 Casler-Dickson von 1895 wird der Film während des Laufs perforiert. Hulfish3 schrieb, daß bei Hamáček der entwickelte Film perforiert worden wäre. Wie man sich das vorzustellen hat, ist mir schleierhaft. Nicht ohne Grund kam das dritte Patent dazu. In einer kurzen Umschreibung heißt es:

 

«In order that the perforations in the edge of the film may have accurate register with the pictures upon the film, Mr. Hamacek provides a camera combined with a film perforating device so constructed that the two sets of four holes for each of the pictures is punched into the film at the same time that the exposure is made.»

 

Damit die Lochung im Filmrand einen genauen Bezug zu den Bildern habe, sieht Herr Hamacek eine Kamera in Verbindung mit einer Stanzeinrichtung vor, die so gebaut ist, daß die beiden Gruppen von vier Löchern für jedes Bild zur selben Zeit gestanzt werden, wie die Belichtung erfolgt.

 

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Der Mechanismus der Hamáček besitzt die Vorzüge, daß die Filmschrumpfung abgefangen werden kann und die Transportkräfte dank relativ großflächiger Klemmung gut verteilt werden. Nur schwache Klemmung ist erforderlich.

 

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Die Nachteile der Hamáček sind das Fehlen von Wickeltrommeln und Schleifen im Film sowie ein Hellsektor im Umlaufverschluß von nur etwa 120 Grad. Mit unperforiertem Film gehen Zahntrommeln natürlich nicht an. Eine klemmende Art des Vor- und Nachwickelns war für Latham seit 1898 mit Patent geschützt. Ihr erinnert euch vielleicht, die Erfindung stammt von Eugène Augustin Lauste. Die Laufzeit der US-Patente betrug damals 17 Jahre, Hamáček war bei diesem Punkt also bis 1913 behindert, wenn man vom Anmeldedatum ausgeht.

 

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Wir haben hier eine Konstruktion, die fast genau gleich alt ist wie die der Bell & Howell „Black Box“4, jene Kamera, von der es lange hieß, sie wäre Martin und Osa Johnson in Afrika von Termiten weggefressen worden. Das ist nun widerlegt5, denn Martin Elmer Johnson und Osa Helen Leighty lernten einander 1910 kennen und kamen erst 1921 in die Nähe Afrikas. Das nebenbei

 

Adolph Hamáček war nicht doof. Das Motiv, diese Kamera zu erfinden, kann ganz exakt benannt werden: die MPPC. Die Motion Picture Patents Company, Ende 1908 von Edison gegründet und mit ihren Rechtstiteln auf den 1. Jänner 1909 wirksam, blockierte das Gebiet der Vereinigten Staaten komplett. Wer nicht bereit war, pro Filmfuß zwölf Cent abzuliefern, wurde ausspioniert, drangsaliert, rechtlich verfolgt. Kameras wurden rücksichtslos vom Stativ gerissen, zerstört. Der Edison-Trust wachte über Celluloïd-Film, Breite 1⅜ Zoll, Perforation nach Muster Kinetoskop, Bildformat Drei zu Vier, Projektoren. Mit der Hamáček konnte man das alles umgehen. Fast alles, und eine kleine Gruppe unbeugsamer Erfinder leistete damals Widerstand. Bis nach Kalifornien waren sie ausgewichen, um fern vom Filmproduktionszentrum im Osten Geräte herzustellen und zu verkaufen.

 

 

Adolf Frese, 1875‒1939, bildete zusammen mit Otto F. Harms die Frese Optical Co. in Los Angeles. Es gibt eine L.-A.-Kamera. Sie hat Greiferantrieb, Lauste-Schleifen, verstellbaren Verschluß, und höhenverstellbares Bildfenster.

 

ww.samdodge.com Bitte selber die Seite aufrufen und L. A. camera suchen

 

 

Los Angeles Herald, Volume 32, Number 337, 3. September 1905

 

Joseph T. Bianchi erfand eine Kamera für 200 Fuß Film, die als legale Tarnung für illegal benutzte Produkte diente. Was legal sei, bestimmten Edisons Anwälte und von 1909 bis 1915 die MPPC. Wenn jemand Neugieriges auftauchte, wurde sie zum dran Kurbeln hingestellt. Es wurden Aufnahmen gemacht, entwickelt, kopiert und anschließend vorgeführt, um die Echtheit des Ganzen zu beweisen. Hintenherum wurden jedoch der Pathé industriel und andere professionelle Kameras benutzt. Bianchi war früher Aufnahmeleiter bei der Columbia Phonograph Co., die alte Rivalin der Edison Co. Die Bianchi funktioniert mit einer dem Film nachgeführten Linse, die Ergebnisse sollen fürchterlich gewesen sein.

The Transformation of Cinema. Eileen Bowser, 1994

The Moving Picture World, Juli 1908, S. 5

US Patent 708‘303

 

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Hubert Meredith-Jones, New York, hielt Patente für einen Elektroofen, einen Staubsauger, einen mechanischen Rechner, einen Mixer, ein Megaphon, eine Filmkamera. Diese Erfindung, die er mit Charles M. Mapes, ebenfalls in New York, teilte, nenne ich das Lügenpatent. Lügenpatent, weil es voller Unfug ist wie die haarsträubende Behauptung, daß scharfe Bilder entstünden auf bewegtem Film. Mit Hilfe eines Getriebes, das elliptische Zahnräder enthält, wird eine Zahnrolle, die der Film umschlingt, abwechselnd langsamer und schneller umgedreht. Während der langsamen Phasen erfolgt Belichtung durch die Öffnung eines verstellbaren Kegelverschlusses. Geringer Aufwand für den Nutzen eines smokescreens, wie es im Amerikanischen heißt. Auch die Mapes-Jones war eine Tarnung der tatsächlich für die Produktion genutzten Kameras. US Patent 943‘253 vom 14. Dezember 1909

 

 

Dann gab es noch eine Wagner-Kamera, von der es heißt, sie funktioniere mit bewegten oder umlaufenden Objektiven, also etwa wie die von Charles Francis Jenkins.

 

Q. David Bowers, Thanhouser Films: An Encyclopedia and History; 1995: «This was the so-called “Wagner Battleship” camera invented by Leon Wagner. In January 1911 it was new on the market and had not been thoroughly tested.»

 

Das war die so genannte Schlachtschiff-Wagner-Kamera, erfunden von Leon Wagner. Januar 1911 war sie neu auf dem Markt und war noch nicht gründlich geprüft.

 

Eigentlich hieß sie Sterling-Kamera von der Sterling Camera Co., New York NY, Leon Wagner; Sam Dodge hatte eine. Sie ist der englischen Williamson ähnlich und nimmt 300 Fuß Film auf. Verstellbarer Verschluß, Fußzähler. Auch hier muss ich auf die Webseite von Sam Dodge verweisen. Dort hat es Bilder von der Sterling.

 

 

Um kurz auf die „Black Box“ zurückzukommen, möchte ich bemerken, daß sie ganz im Gegenteil zu den Anti-Trust-Konstruktionen mitten in den Trust hineingehörte. In meinen Augen stellte sie nur eine Spielart der Bell & Howell Standard dar, die älter ist. Die Bell & Howell Co. war nicht Mitglied der MPPC, jedoch die Essanay, von der sie abhing. Als die MPPC ihre Wirkung zu entfalten begann, hatte Bell & Howell noch keine eigenen Produkte.

_____________________________________________________

 

 

1 Domitor war der ursprüngliche Name für das Projekt von Vater Claude Antoine Lumière.

2 Der Erfinder der ersten Biograph-Kamera war William Kennedy Laurie Dickson, der als ehemaliger Konstrukteur der Filmgeräte bei Edison genau wußte, wie jene Patente zu umgehen sind.

3 David Sherrill Hulfish (1873 oder 1874, Todesdatum unbekannt): Cyclopedia of Motion-Picture Work. American Technical Society, 1911. 1897 wurde er Mitglied der Delta-Upsilon-Bruderschaft. Adresse: 19 Wiedemarck St., London, England. Beruf: Banker. Solicitor of patents, specialist in motion pictures; Monadnock Building, Chicago, und 18 Duncan Street, Toronto

 

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4 Die auch Black Box genannte Bell-&-Howell-Kamera hatte ein Holzgehäuse, das mit schwarzem Leder bedeckt ist. Es wurden zehn Exemplare gebaut. Der Mechanismus war mit dem U.-S.-Patent 1‘038‘586 geschützt, das am 17. September 1912 veröffentlicht wurde, Anmeldedatum war der 25. Oktober 1911. Acht Exemplare gingen an Essanay, zwei an noch unbekannte Käufer. Eines befindet sich heute im George Eastman House. Siehe auch dort

5 Siehe Diskussion in diesem Forum: http://www.cinematog...765#entry429263

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