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Willy Sommerfeld - 1904-2007


cinerama

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Der älteste Stummfilmpianist der Welt verstarb am 19.12.2007 in Berlin, wie erst vorgestern bekannt wurde.

 

Geboren in Danzig, wo er mit 16 sein Examen machte, studierte er ab 1920 bei einem Schüler von Arthur Rubinstein am Julius-Stern-Institut (Staatliches Konservatorium, Berlin) -, zunächst Piano, schließlich aber Dirigent und Komponist und mußte aufgrund seiner Mittellosigkeit ab 1921 in den damaligen BAYREUTHER LICHTSPIELEN in der Welser Strasse erste "Mucken" verdienen: wieder nicht als Pianist, sondern als Violinist. Nachdem die Klavierbegleitung unbezahlbar wurde, übernahm er auch diesen Part. Später spielte er zur Stimmung während der Dreharbeiten in Potsdam-Babelsberg auf - so daß Stummfilme tatsächlich wohl zu keiner Zeit und nirgendwo "stumm" gewesen waren.

 

Mit 22 Jahren wurde er zum Kapellmeister in Braunschweig berufen und betreute darüberhinaus eine Kinokapelle. Nachdem er aber den Hitlergruß verweigert haben soll, wechselte er ab 1924 zum Kabarett und wirkte als Komponist für Hörspiele des Rundfunks und für Frontproduktionen wie auch oder im Revueorchester der Berliner SCALA.

 

Auch nach 1945 betätigte er sich in der Leichten Muse des Varietees, im Zirkus, am Theater des Westens und in Operetten-Schulen.

Seine Popularität bei Filmfreunden in aller Welt nahm ihren Lauf mit der Rückkkehr in die BAYREUTHER LICHSPIELE Anfang der 1970er Jahre, die jetzt von den Freunden der Deutschen Kinemathek (und Gründern des "Forums des Jungen Films", eine Sektion der Berlinale) übernommen worden war und in KINO ARSENAL nach einem Film von Alexander Dowschenko umbenannt wurde (1972-2000 - bis zum Umzug Richtung Postdamer Platz das führende Berliner Kommunale Kino). Den dortigen revolutionären Kinomachern und Filmtheorieschwärmern mußte wohl erst Sommerfeld einige Grundlagen des Kinomachens in Erinnerung rufen, wie Sommerfelds Frau rekapituliert: "Da ging mein Mann als verhältnismäßig junger Rentner hin und sagte ‚Sie bringen doch hier Stummfilme. Wollen Sie die ohne Musik bringen? Dann ist der Stummfilm tot.'" Murnau-, Lang- und Eisenstein-Filme untermalte er seit dieser Zeit.

Seinen Stil könnte man als ein Kaleidoskop der unverhofften, überraschenden Wechsel zu beschreiben versuchen: beginnend mit impressionistischen Clustern, über den grollenden Theaterdonner hin zu unzähligen Anklängen an Repertoirestücke aus Klassik und Salonmusik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, aber auch das "Zitat" bekannter Hymnen und Sinfonien nicht scheuend, wann immer eine exponierte Filmszene nach diesem Symbolismus verlangte.

Die Anekdote, er habe sich die Film nie zuvor angeschaut, sondern improvisierte als Genius dank höherer Eingabe sozusagen aus dem Ärmel heraus, darf als Übertreibung erachtet werden. Seit 1920 gab es immerhin sogenannte "Kinotheken", in denen die Repertoire-Stücke thematisch erfaßt und sortiert waren. Die Filmgeschichte kannte er zu gut. Er selbst betonte aber stets: die Filmbilder gingen "direkt in die Finger".

 

Fast noch bis ins 3. Jahrtausend hinein wirkte er in seiner Hauptdisziplin, am Stummfilmklavier, und die Besucher so einiger Programm- und kommunaler Kinos in Berlin staunten ob seiner Virtuosität und breiten Motiv-Palette. So erstaunt es aber nicht, daß er stets ein Vierteljahrhundert jünger wirkte und "aufnahmefähiger" war als mancher Zeitgenosse um die zwanzig. Bundesfilmpreis, Berlinale-Kamera und Bundesverdienstkreuz waren Auszeichnungen am Ende seines Lebens.

 

Wir Freunde des Stummfilms werden Sommerfeld und seine unverwechselbaren Klänge vermissen.

 

"Er hat Unglaubliches geleistet zur Wiederauferstehung des Stummfilms", resummierte Karl Prümm 2004.

 

Es wurde zwischen 2001 und 2004 eine Dokumentation seines Lebens produziert, die 2006 unter dem Titel "The Sound of Silence" in den Kinos startete. Die Trailer sind auch im Netz abrufbar: http://www.willysommerfeld.de/

 

Text: @cinerama, 2008

 

sommerfeld_250.jpg

Bild: Bernd Settnik, DPA (veröffentlicht in "Der Stern", 2.1.2008).

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