Hallo, Forum, ein älterer Beitrag, der unbeantwortet geblieben ist, doch warum nicht mein Wissen und Erfahrungen weitergeben?
1943 haben Paillard und Kern einen Zusammenarbeitsvertrag geschlossen für optische Produkte zu den Bolex-Geräten.
Die Optikabteilung von Kern bestand schon über 20 Jahre, nun war die Vergütung im Begriff, eingeführt zu werden, ein
starker Antrieb neben dem Vorteil, im Land einkaufen zu können. Die Paillard-Bolex-Apparate waren bislang mit deutschen,
englischen oder französischen Objektiven bestückt.
Dreilinser erhielten den Namen YVAR, hergeleitet von der Ortschaft Yverdon am Neuenburger See, wo Paillard beheimatet war. Es gibt eine Ausnahme, nämlich das Yvar 13-1:1,8 für 8-mm-Film beziehungsweise das Yvar 25-1:1,8 für 16-mm-Film, die Vierlinser sind, Zeiss-Tessar-Typ (griech. tessera = vier). Auch die Yvar 75, 100 und 150 besitzen nur drei freistehende Linsen.
Fünflinser wurden mit der Bezeichnung PIZAR versehen. Im Rätoromanischen ist ein Piz eine Bergspitze. Kern verwendete den Namen bereits für seine Feldstecher. Auch hier gibt es eine Ausnahme, das Pizar 25-1:1,5, das als Sechslinser ausschließlich für die H-16 Reflex geliefert wurde, es hatte als erstes Objektiv die Visifocus-Tiefenschärfenanzeige.
Ab sechs Linsen haben wir das SWITAR, abgeleitet von Switzerland. Es wurde für 16-mm- und 8-mm-Film gefertigt. Dieser Doppel-Gauß-Anastigmat, eine Abwandlung vom asymmetrischen Lee-Objektiv von 1920, wurde zur Fackel der Kern-Schmalfilmobjektive, sehr gut korrigiert, jedoch nicht farbfehlerfrei (apochromatisch). Bei apochromatisch korrigierten Systemen entstehen auch in der Unschärfe keine Farbsäume. Das Switar 10-1:1,6 hat zehn Linsen in fünf Gruppen. Eine ähnliche Konstruktion ist das Switar 13-1:0,9.
Das Genevar ist vermutlich ein Vierlinser. Noch habe ich keine genaueren Einzelheiten gefunden.
Mit der Bolex H-16 Reflex, die Paillard 1956 einführte, wurden zunächst das erwähnte Pizar 25 und das Switar 16-1:1,8 verkauft. Brennweiten über 50 mm brauchen keine Korrektur wegen des Sucherprismas, auch bei Blende 1:3,3 und kleiner wird der prismatische Längenfehler verschwindend klein. Der Gewindestutzen wurde verkürzt, damit das Objektiv nicht mit dem Prisma kollidiert. Mit rotem Lack eingelegte Buchstaben RX im Frontring machen für die Reflex-Kameras gebaute Objektive kenntlich. Sie besitzen eine zusätzliche hinterste (positive) Linse, weshalb RX-Switar Siebenlinser sind.
Für die Paillard-Bolex H-8 Reflex mit C-Gewinde im Revolver wurden neue Objektive gerechnet, das RX-Macro-Switar 12,5-1:1,3, das RX-Macro-Switar 36-1:1,4 und das RX-Switar 5,5-1:1,6, hervorragende Systeme in meinen Augen. Im Unterschied zur C-Fassung bei 16-mm-Film-Kameras und zur D-Fassung bei Doppelachtkameras ist das Auflagemaß der H-8-RX nicht genormt (15,305 mm). Die H-16 Reflex hat das Auflagemaß 20,760 mm. Das Auflagemaß der genormten C-Fassung ist 0.69" oder 17,526 mm, das der D-Fassung 12,29 mm. Um RX-Objektive von einer H-8 Reflex auf einer H-16 Reflex oder umgekehrt verwenden zu können, muß man den hinteren Gewindestutzen vom Techniker austauschen lassen. Das geht allerdings nur bei den längeren Brennweiten. Bei den gewöhnlichen (nicht RX) Kameras setzt man Zwischenringe ein.
Das Stereo-Yvar 12,5-1:2,8 von 1952 besteht aus zwei Tripletten, das Stereo-Projektionsobjektiv aus zwei Vierlinsern (Petzval-Typ). Die Kern-Stereo-Optik kann nicht auf H-16 Reflex verwendet werden.
Ende der 1950er Jahre entstanden die ersten Kern-Zoomobjektive. Das Kern-Vario-Switar für 16- und für 8-mm-Film ist der gleiche Sechzehnlinser, Brennweitenbereich 18~86 mm resp. 8~36 mm. Es wurde mit Handblende und Automatik gebaut, deren Bezeichnung EE für Electric Eye steht (elektrisches Auge). POE bei jüngeren Vario-Switar bedeutet Power Zoom, Open Eye (motorische Brennweitenverstellung, Offenblende zum Scharfstellen). Das waren Systeme mit 19 Linsen.
Man kann Objektive objektiv vergleichen. Dazu gehören gleichbleibende Bedingungen bei Licht, Kamera und Film. Man kann auch subjektiv vergleichen und sich gleichzeitig Rechenschaft darüber geben, was man eigentlich will. Gemeinerweise waren die praktischen Bedingungen beim Amateurfilm mit Kodachrome 25 im Projektor wesentlich günstiger als die beim Berufsfilm. Dort wurde auf Negativmaterial aufgenommen und eine Kontaktkopie davon projiziert. Eine schier endlose Diskussion war am Leben über diese „verkehrte“ Welt, an der ich auch teilgenommen habe. Heute gibt es kein Kodachrome mehr und die Negativfilme sind deutlich feiner im Korn. Was auch verschwunden ist: die VNF-Materialien (Video News Film). Das waren die ersten hochempfindlichen Farbumkehrfilme, hauptsächlich gebraucht fürs Fernsehen. Grobkörnig, sumpfig, manchmal wild in den Farben. Meiner Meinung nach fällt der Qualitätsentscheid bei der Wiedergabe. Meine Erfahrung schließt Projektion von 16-mm-Kopien (ECN-ECP) mit sehr gutem Objektiv ein, und zwar mit dem Schneider-Ciné-Xenon 30-2. Wenn die Kopie gut gemacht ist, sind die Bilder mit Kodachrome 40 vergleichbar.
Bei Schwarzweißfilm sieht die Sache anders aus. Fomapan R 100 als 8-mm-Film bringt ein relativ körniges Bild auf die Wand, Gigabitfilm 40 als 16-mm-Material bringt kornloses Bild. Extrem stark auflösender Film in Doppel-8 und DS-8 fehlt. Man ist frustriert, wenn man eines der sehr feinkörnigen Umkehroriginale von früher projiziert.
Zurück zu Kern. Ich möchte vor einer einzigen Sache warnen. Es handelt sich um die Vergütung. Sie ist sehr wichtig für die Leistung eines Objektives und wenn sie zerkratzt ist, sollte man das betroffene Instrument nicht kaufen. Staub im Innern, Pilz, Kittblumen — die Reparatur wird teuer. Öl auf Blendenlamellen ist an sich nicht schlimm, es darf nur nicht kleben. Eine Blendenreinigung ist weit einfacher und günstiger zu haben als Glasarbeiten. Das Switar 50-1:1,4 ist anfällig auf Streulicht. Das Pizar 50-1:1,8 auch
In der Hoffnung, die Kern-Paillard-Geschichte einigermaßen verständlich zusammengefaßt zu haben, verbleibe ich mit filmischen Grüßen nicht ohne den Hinweis darauf, daß es noch viele andere interessante Objektive gab und gibt.