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Moin,

 

lange Zeit war ich verschollen. Derzeit schreibe ich an meiner Masterarbeit. Dort geht es um Propagandafilme im ersten Weltkrieg. 10% der Produktionen zwischen 1896 - 1918 sollen nur noch erhalten sein. Ich vermute mal dass es sich hierbei ausschließlich um Nitro handelt.

 

Da ich gerade eine Fußnote von einer halben Seite zu den bombigen Eigenschaften von dieser Filmsorte geschrieben habe, würde mich nun mal interessieren ob Nitro überhaupt noch gespielt werden darf / gespielt wird und wenn ja unter welchen Auflagen?

 

Ist es korrekt, dass Vorführer im Falle eines Brandes, den Film vor den Schutztrommeln durchtrennt haben, um den Rest zu retten oder blieb wirklich nur die Flucht und die Hoffnung dass die Bude nicht abbrennt?

 

neugierige Grüße

 

Thommi

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Ja, kaltblütig an den Feuerschutztrommeln abreißen

 

Zweiter wichtiger Punkt ist, daß die Fallklappen sofort fallen, damit möglichst keine Flammen auf der Bildwand abgebildet werden und womöglich Panik ausbricht. Der Vorführer bleibt im Bildwerferraum und trennt die Maschine vom Strom.

 

Falls doch der Film in einer Feuerschutztrommel brennt, muß man ihn abbrennen lassen. Dafür die mit Drahtgaze bedeckten Öffnungen in den Trommeln

 

Fenster auf, Publikum direkt um Nachsicht für die Panne bitten oder Kasse anrufen, damit man von dort aus in den Saal geht und die Sache erklärt. Wenn der Rest des Films nicht mehr vollständig gespielt werden kann, muß ausgezahlt werden.

 

Es folgen Mitteilung an Verleiher und Bericht für dessen Versicherung.

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... würde mich nun mal interessieren ob Nitro überhaupt noch gespielt werden darf / gespielt wird und wenn ja unter welchen Auflagen

 

Selbstredend nicht - und das (in der Bundesrepublik) schon seit 1957. Jedenfalls nicht in einem normalen Filmtheater.

 

Projektionsmöglichkeiten könnten allerdings noch bei den staatlichen Filmarchiven bestehen. Für deren Bedürfnisse hat Kinoton eine Spezialversion seiner FP-Reihe entwickelt, die auch Nitrofilm-fähig ist. Wobei: Um Nitrofilme vorführen zu dürfen, bedarf es mehr als eines dafür zugelassenen Projektors; die gesamten baulichen und technischen Einrichtungen müssen darauf eingestellt sein ...

 

Zweite Seite links unten:

http://my.kinoton.co..._brochure_d.pdf

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Zweite Seite links unten:

http://my.kinoton.co..._brochure_d.pdf

 

 

 

Diese Nitro Spezial-Projektoren von Kinoton stehen z.B. im Billy-Wilder Theatre des Hammer Museums in Los Angeles.

 

michael_maltzan_architecture_billy_wilder_theater_31.jpg

 

 

 

Vor einiger Zeit gab es auch hin und wieder Nitrofilm Vorführungen im EGYPTIAN Theatre in Los Angeles (einige rare Technicolor Nitrokopien z.B. in 2003). Dann muss der komplette BWR ausgeräumt werden und die Los Angeles Feuerwehr nimmt dann vorher den Zustand ab und steht während der Vorführungen "Schlauch bzw. Löschdecke bei Fuß!"

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Also kann man anhand der Antworten schreiben, dass in Deutschland Nitro generell nicht mehr vorgeführt wird, sondern nur noch in Archiven Verwendung findet?

 

Thommi

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Ja.

 

Und falls Du noch ne interessante aktuelle Anekdote dazu brauchst:

 

http://www.filmvorfu...lm/#entry182259

 

Die verlinkten Artikel sind vom Januar diesen Jahres, und der Besitzer und Vorführer dieses Materials, somit Verursacher und Leidtragender der Brände, ist ein Forenuser (der sich verschiedentlich auch im Forum zu dem Unfall geäußert hat).

 

 

 

- Carsten

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Kann ich dann davon ausgehen, dass der Filmvorfüher damals sozusagen jeden Tag auf einem Pulverfass gesessen und gearbeitet hat?

Das Publikum war ja noch geschützt, da es keine direkte Verbindung vom BWR zum Saal gegeben hat - ähnlich wie der Eiserne Vorhang im Theater.

  • Like 1
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Das Publikum war ja noch geschützt, da es keine direkte Verbindung vom BWR zum Saal gegeben hat - ähnlich wie der Eiserne Vorhang im Theater.

 

Nicht unbedingt ... arbeite an der Aufarbeitung der Erinnerung eines Wanderkinobetreibers in den unmittelbaren Nachkriegsjahren. Da wurde mit zwar gekapselten Projektoren (in dem Falle von Knetsch) vorgeführt, nichtsdestotrotz aber offen im übervoll besetzten Saal der Gaststätten mit Nitro-Kopien, die teilweise sehr, sehr viel Klebestellen hatten. Nicht selten bat der Gastwirt dann noch um ein bis zwei "Filmriße", damit er in den Zwangs-Pausen dann Getränke zusätzlich verkaufen konnte.

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Kann ich dann davon ausgehen, dass der Filmvorfüher damals sozusagen jeden Tag auf einem Pulverfass gesessen und gearbeitet hat?

 

Premiere von King Kong, 1933, Radio City Music Hall, New York City. Vier Projektoren, an jedem sitzt ein Vorführer, ein fünfter „Rewind Boy“ steht am Umrollplatz. Drei Kopien sind im Haus, zwei als Ersatz. Die Vorführer dürfen ihre Maschinen nicht verlassen. Das Haus faßt 6200 Besucher, man spielt mit rotierenden Kohlen bei gegen 100 Ampère, wenn ich es recht im Gedächtnis habe. Hier eine Erinnerung: http://www.caboosebooks.net/node/94

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Warum eigentlich "auf dem Pulverfass"? Das Übelste, was bei der Projektion passieren konnte, war, dass sich der Film entzündete. Aber dagegen gab es ja reichlich Sicherheitsmaßnahmen. Riss der Film vor der Kreuzrolle (und blieb damit im Filmkanal stecken), schlug die obere Schleife mit einer Verzögerung von höchstens zwei Bildkadern gegen das Protektorblech - und die Lichtschutzklappe fiel. Dieser kurze Moment - mehr oder weniger ein Zwölftel Sekunde - reichte bei weitem nicht aus, um den Film im Bildfenster zu entzünden. Der Filmkanal selbst war wassergekühlt (ich nehme mal die Ernemann VII b als zu Nitrozeiten am weitesten verbreiteten Projektor) - der wurde auch nicht besonders heiß. Die blödeste Situation, die bei Nitro entstehen konnte, war, dass ein Perfosteg ausriss, in den Filmkanal hineingezogen wurde - und sich aus irgendeinem Grunde im Bildfenster verklemmte. Der entzündete natürlich erst sich selbst und dann den laufenden Film. Genau dafür stand der Vorführer direkt neben dem Bildwerfer - um in einem solchen Fall geistesgegenwärtig den Bildwerfer stillzusetzen, gegebenenfalls den Film an der oberen Feuerschutztrommel abzuschneiden und die Fallklappen zu schließen. Letztere waren übrigens zu gewissen Zeiten und an gewissen Orten mechanisch bedient und mit einem Brett verbunden, auf dem Vorführer neben seinem Bildwerfer zu stehen hatte. Verließ er das Brett, schnellte eine Feder hoch, und die Fallklappen schlossen sich. Jedenfalls zumidest in der Theorie.

 

Wenn es wirklich mal krachte, dann waren es nitrose Gase, die sich entzündet hatten. Saugefährlich. Passiert aber nur bei der Lagerung - als Folge von anhaltenden, unentdeckten Zersetzungsprozessen. Deshalb war und ist es so wichtig, Nitrofilm nicht in Büchsen aufzubewahren, bei der Lagerung für eine ausreichende Belüftung zu sorgen und die Kopien regelmäßig zu kontrollieren. Insoweit ist die Verpuffungsgefahr ein Problem von Filmarchiven, das aber mit moderner Sicherheitstechnik und niedrigen Lagertemperaturen ausreichend gut beherrscht werden sollte.

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Also kann man anhand der Antworten schreiben, dass in Deutschland Nitro generell nicht mehr vorgeführt wird, sondern nur noch in Archiven Verwendung findet

 

Wenn Du eine Formulierung für Deine Master-Arbeit suchst, dann könnte die auch deutlich rigider ausfallen - Nitrofilm wird öffentlich nicht mehr vorgeführt. Die wenigen Spielstätten, die für Nitrofilm-Vorführungen zugelassen sind, nutzen diese allenfalls für interne Sichtungen. Denn Nitrokopien sind Archivalien, die nicht dem Risiko des Untergangs in einer Vorführung preisgegeben werden - oft handelt es sich um die letzte verbliebene Kopie. Deshalb ist auch die Formulierung "nur noch in Archiven Verwendung findet" von hoher Ambivalenz - derartige Kopien werden nicht mehr für Projektionszwecke "verwendet", sondern nur noch gelagert. Wenn sie denn gelagert werden: Es gab eine Zeit, als sich gerade das Bundesarchiv rigoros von seinen Nitrofilmbeständen getrennt und diese vernichtet hat (das war nach dem Brand auf der Festung Ehrenbreitstein, 1988), spätestens nach einer Umkopierung auf Sicherheitsmaterial, häufig auch früher. Zum Glück hat da wieder ein Umdenken eingesetzt.

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Die letzte verbliebene Kopie ist auch mehrdeutig, inzwischen sollte ja zu jedem für lagerungswürdig befundenen Film zumindest mehrere Sicherheitskopien auf Sicherheitsfilm existent sein...also ist es auch nicht die letzte Kopie in dem Sinne...

 

Man muß dazu sagen ich schreibe diese Arbeit in Geschichte bei einer Professorin die sich zwar für Film interessiert aber davon wenig Ahnung hat. Deswegen müssen die Erklärungen eindeutig klar und für absolute Laien verständlich sein. Das ist ein schweres Brot....

 

Thommi

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Ja, klargestellt: die letzte verbliebene Nitrokopie. Die in den alten Zeiten meist noch direkt von Originalnegativ gezogen war, also die bestverfügbare Kopienqualität darstellt. Sicherungskopien (auf Sicherheitskopien) sind dann schon (mindestens) vierte Generation und haben, umkopierungsbedingt, nicht mehr den Reichtum an differenzierten Grautönen ...

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Man muß dazu sagen ich schreibe diese Arbeit in Geschichte bei einer Professorin die sich zwar für Film interessiert aber davon wenig Ahnung hat. Deswegen müssen die Erklärungen eindeutig klar und für absolute Laien verständlich sein. Das ist ein schweres Brot....

 

Du kannst dir keine schönere Aufgabe wünschen!

  • 3 weeks later...
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Meines wissens hat -zumindest in den 90ern- das Filmmuseum / Stadtmuseum München am Jakobsplatz vereinzelt Nitromaterial vorgeführt. Habe mich da mal bei einer Filmlieferung mit dem Vorführer unterhalten, muss immer ein großes bohei mit Feuerwehr & Co gewesen sein. Evtl. kann Dir dort ein Kollege genaueres zu dem Thema erzählen.

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Die letzte verbliebene Kopie ist auch mehrdeutig, inzwischen sollte ja zu jedem für lagerungswürdig befundenen Film zumindest mehrere Sicherheitskopien auf Sicherheitsfilm existent sein...also ist es auch nicht die letzte Kopie in dem Sinne...

In vielen Fällen (der Mehrheit der Filmgeschichte) gibt es leider keine neueren Sicherheitsmaterialien. Die Kosten würden explodieren und die Etats fehlen. Zudem versucht die Deutsche Kinemathek in Berlin generell von der Sicherheitskopierung auf Film abzuweichen und sich in die geschäftlich tröstlichere Transition des Digisats hineinzubeamen. [sorry für das Wortmonstrum].

Allerdings sind nicht alle Nitromaterialien per se im Vorteil: eben so gute oder bessere Kopien lassen sich auch auf Sicherheitsfilm (noch heute, sofern das O-Negativ es vom Zustand her zulässt) neu herstellen. In nicht zu hoher Auflage, versteht sich.

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Nitratfilm hat noch einen Vorteil: Celluloseacetat ist ein reversibler Prozess, Essigsyndrom unausweichlich. Nitratfilm hat bewiesen, daß er > 100 Jahre vorführfähig bleiben kann. Beispiel: Pathè Woche: Die Eröffnung der neuen Hamburger U-Bahn (Entschuldigung HOCHbahn mit Untergrundanteilen der A.E.G. und Siemens Schuckert ArGe) und Teil 2: Hamburg Stadt der 1000 Brücken. Wann war die U Bahn noch eröffnet worden? 1904 oder 1908 ? Erinnere ich nicht. Die viragierte Kopie ist immer noch spielbar.

 

St

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1912. - Wenn wir denn schon das Hohelied des Nitrofilms singen wollen, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass er wesentlich reißfester war als Azetatmaterial. Was im Spielbetrieb ein immenser Vorteil war. Nicht, dass nicht auch zu Nitrofilmzeiten mal ein Film gerissen wäre; aber diese gelegentlichen Orgien von Klebestellen, vorzugsweise an Akt-Anfängen und -enden, blieben dem Azetatfilm vorbehalten.

  • 1 month later...
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Hallo!

 

Ich hänge mich hier an diesen Thread mal kurzerhand an. Ich habe hier noch einige alte s/w Filme aus den 50er.An der Seite steht einmal "Agfa" drauf für den Hersteller.Dahinter steht ein großes "S" .Steht der Buchstabe S für Sicherheitsfilm?Ich möchte da auf Nummer sicher gehen und keine Nitrokopien bei mir abspielen.

 

Gruss Dirk

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Ja, das "S" steht immer für Sicherheitsfilm. Aber: es muss da in schwarzer Schrift stehen. Transparent vor dunklem Hintergrund würde bedeuten, dass es von irgendeinem Zwischenfilmmaterial durchkopiert ist. Scan wäre hilfreich, um sicherzugehen.

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